Nostalgie und die österreichische Popmusik

Die Sehnsucht nach gestern spielt nicht nur im Secondhandshop – und leider auch in der Politik – eine bedeutende Rolle, sondern seit jeher auch in der Musik. Derzeit findet man in der österreichischen Musiklandschaft diverse Bands mit denen ein Abstecher in die Vergangenheit doch nicht ganz unmöglich erscheint. Doch handelt es sich um bloße Kopien alter Idole oder steckt doch noch mehr dahinter?
von Patrick Tilg

In unserem digitalen Alltag, der teilweise immer mehr durch Algorithmen automatisiert wird – ja, Algorithmen können sogar schon ganze Songs schreiben – strömt uns aus allen Ecken Nostalgie entgegen. Ob im hippen Café nebenan oder in der neuen Serie, die man gerade streamt, überall durchlebt man optische und akustische Zeitreisen durch das letzte Jahrhundert. Falco läuft in allen Radiostationen auf und ab und junge Bands klingen ähnlich wie Ludwig Hirsch oder covern Wolfgang Ambros.

Doch wie kommt es dazu? Während künstliche Intelligenzen die nächste Hookline generieren, finden viele Musiker_innen ihre Inspiration in einer romantisierten Vergangenheit. In der Pubertät lernt man Nirvana kennen und kurz darauf gründet man die erste Band. Plötzlich stößt man auch noch auf andere Bands aus den 90ern und versinkt zum ersten Mal in einem Jahrzehnt, in dem man entweder noch zu jung war um sich zu erinnern oder überhaupt noch nicht auf der Welt war. Dort sucht man unbewusst oder bald auch bewusst nach verlorengegangener Authentizität, die von der Hörerschaft nicht nur verlangt wird, sondern Voraussetzung ist, um überhaupt die kreative Arbeit als solche zu legitimieren. Aber würde diese Nostalgie und das Rückbesinnen auf die Echtheit anderer Dekaden dem authentischen Songwriting nicht widersprechen?

„Ist doch alles nur geklaut“ singen schon die Prinzen in den frühen 90er Jahren. Viele postmoderne Philosophen verstehen die Realität überhaupt als Kopie der Kopie. Ist es also reaktionär oder antiquarisch sich an alten Songs zu bedienen oder steckt darin doch mehr als bloße Wiederholung und Nostalgie? Vermutlich ist diese Frage erst rückwirkend ganz zu beantworten. Allerdings zeichnet sich, trotz reger Anwendung dieser künstlerischen Praktik seit dem New Wave in den 1980ern ab, dass doch immer wieder spannende neue Musikrichtungen aufkommen. Davon einige, die ganz und gar nicht auf 010101 basieren, sondern von echten (Achtung: Wertbegriff. Besser: lebendigen) Musiker_innen eingespielt werden. Denn gerade diese hybride Melange aus digitalen und analogen Mitteln erzeugt immer wieder die wunderbarsten Popsongs. Popsongs, die sowohl in ihrer Gemachtheit, als auch auf inhaltlicher Ebene von Nostalgie durchzogen sind.

Möglicherweise braucht es also einfach Pastiche-Bands, die mit analogen Instrumenten oder verschiedensten Referenzen den 70er Psychedelic-Rock (Juleah, Vague), das Wiener Lied (Wiener Blond, Voodoo Jürgens) oder die 80er-Jahre (Ankathie Koi, Flut) neu heraufbeschwören. Einfach um die Welt etwas zu entschleunigen und der nächsten Generation auf spielerische Art die Geschichte der Popmusik näherzubringen. Reaktionär wäre Musik demnach nur dann, wenn sie in einen restaurativen Kontext gestellt wird und die Nostalgie verwendet wird, um die gute alte Zeit wortwörtlich wieder salonfähig zu machen.

Vielleicht sollte einfach ein Umdenken stattfinden, denn schon Mozart hat bei seinen Lehrern geklaut und sich an sämtlichen Komponisten bedient, was ihm heute wohl kaum einer vorhalten würde. Und nicht zuletzt gäbe es keinen Hip-Hop, wenn die DJs in den späten 80ern nicht alte Soul, Jazz und Disco-Platten recycelt hätten, um daraus ihre Breakbeats zu basteln. Aus einer nostalgischen Hörerschaft ging also eine völlig neue Musikrichtung hervor, die sich zwar stark auf andere Genres bezog, aber nicht mit bloßer Wiederholung des ewig Gleichen begnügte.

Ganz nach dem Motto: Ein Schritt zurück, zwei nach vorn.