Safe & Sound: Kreativität und Mental Health – eine konflikthafte Beziehung

In der zweiten Ausgabe von Safe & Sound, unserer Kolumne über Health Awareness in der Musikbranche, möchten wir den Fokus auf einen zweiten, sehr wichtigen Bereich legen: die psychische Gesundheit. Wie steht es um den Zusammenhang zwischen Kreativität und Mental Health? Welchen Aufschluss können aktuelle Studien zu diesem Thema geben? Und was hat es mit dem Mythos der*des leidenden Künstler*in auf sich? Muss man wirklich leiden, um gute Kunst machen zu können? Eine Annäherung.
von Clara Pacher

Mit internationalen Popstars wie Billie Eilish, Lizzo oder James Blake, die sehr offen über den Zustand ihrer mentalen Gesundheit sprechen, scheint die Awareness in diesem Bereich bereits mehr als angekommen zu sein – vor allem mehr als in vielen anderen Bereichen.
Auch in der Österreichischen Musiklandschaft  machen sich Künstler*innen wie KeKe oder Sophie Lindinger – um nur zwei zu nennen – für dieses Thema stark. Auf Social Media ebenso wie in ihrer Kunst.

Nun scheint die Beziehung zwischen dem Beruf des Kunstschaffens und der psychischen Gesundheit seiner Akteur*innen durchaus ambivalent zu sein. Auf der einen Seite steht eine erhöhte Akzeptanz im Vergleich zu anderen Berufsfeldern, sich verletzlich zu zeigen und intime Einblicke in persönliche Befindlichkeiten zu gestatten. Auf der anderen Seite wiederum steht, dass oft genau das zum Produkt gemacht wird – das Musikbusiness ist immer noch ein Business. Das Produkt sind also meist die Künstler*innen selbst und diesen Beruf ergreifen ganz oft Personen, die psychisch vorbelastet, also vulnerabel, sind und ihn als Selbsttherapeutikum nutzen. Der Grat zwischen selbstbestimmter Freizügigkeit, die in Kunst verpackt wird und dem moralisch fragwürdigen Konsum des Leids anderer ist dementsprechend schmal.

Einen guten Anknüpfungspunkt bietet wohl ein Blick in den Club 27, einer Reihe an Musiker*innen, die viel zu jung und meist infolge psychischer Probleme wie Sucht oder Suizidalität ums Leben kamen. Unter ihnen findet man Namen wie Jim Morrison, Kurt Cobain, Janis Joplin, Amy Winehouse oder Jimi Hendrix. Alle dieser Namen gehören wohl auch dem Stereotyp des*der leidenden Künstler*in an. Dieser Mythos ist vor allem geprägt von einer romantisierten Vorstellung des Leidens um der Kunst Willen. So können ganz leicht Warnsignale übersehen und Hilfestellungen unterlassen werden. Die Öffentlichkeit sieht Künstler*innen dabei zu, wie sie offensichtlich Schwierigkeiten mit ihrer psychischen Gesundheit haben. So kam es beispielsweise auch, dass Journalist*innen und Fans erwartungsvoll dem nächsten Album des Künstlers Nick Cave entgegenblickten, als bekannt wurde, dass dessen Sohn auf tragische Weise verstorben war – Inspiration Porn at its best.

Aus Sicht der kunstschaffenden Person macht es nur Sinn, tragische Erlebnisse auf diese Weise zu verarbeiten. Bereits Freud beschrieb die Sublimierung als einen der reifsten aller Abwehrmechanismen. Ganz allgemein benennt Sublimierung, dass etwas durch einen Veredelungsprozess auf eine höhere Stufe gebracht wird. In der Psychoanalyse bedeutet es also das Verwandeln von unangenehmen und schwer aushaltbaren Gefühlen in eine veredelte Form, wie zum Beispiel Kunst. Aber bedeutet das denn nicht, dass man leiden muss, um wirklich gute Kunst schaffen zu können? Auch diese Annahme hält sich wacker.

Eine Metaanalyse von Zhao et al. aus dem Jahr 2022 hat sich ziemlich genau mit dieser Frage befasst. Die Forschenden haben zahlreiche Studien aus vorangegangen Jahren verglichen, um die dichotome Verbindung zwischen Kreativität und Mental Health zu untersuchen. Sie fanden einerseits heraus, dass kreative Personen viel häufiger Menschen mit affektiven Störungen (wie z.B. Depressionen oder Bipolarität) sind. Auf der anderen Seite hätten aber Personen mit affektiven Störungen keine höheren Kreativitäts-Scores erzielt als gesunde Teilnehmer*innen. Diese Ergebnisse stützen vielmehr die These, dass den kreativen Beruf eher vulnerable Personen ergreifen, als dass man leiden muss, um gute Kunst zu schaffen.
Die Forschenden fanden außerdem einen positiven Zusammenhang zwischen Kreativität und psychischer Gesundheit. Demnach würden kreative Personen ein höheres Wohlbefinden aufweisen bzw. seien Personen mit höheren well-being-Scores kreativer.

Auf viele Fragen gibt es also bereits Antworten. Einige dieser Antworten werfen allerdings erneut Fragen auf. Wie geht es österreichischen Kunstschaffenden mit diesem Thema? Was kann die Öffentlichkeit tun, um Stereotype abzubauen und Menschen, die in der Öffentlichkeit leiden, zu helfen? Welche Herausforderungen bringt der Beruf der*des Künstler*in noch so mit sich? Und was kann man tun, um die eigene psychische Gesundheit in diesem Arbeitsfeld möglichst gut zu wahren? Alles Fragen, denen wir in den folgenden Ausgaben von Safe & Sound auf den Grund gehen wollen – also stay tuned!

 

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