Von Kärnten nach Berlin: Esther Graf im Gespräch

Als Songwriterin und Sängerin hat die gebürtige Kärntnerin Esther Graf eine außergewöhnliche Karriere hingelegt, die sie bis zu ihrer ersten eigenen Headliner-Tour geführt hat. Von Herzschmerz-Liebessongs über Features mit Alligatoah bis hin zu einem Weihnachtssong-Cover ist im diversen Repertoire von Esther alles zu finden. Mit uns hat die 24-Jährige über Erreichtes, Herausforderungen und natürlich Österreich gesprochen.

von Stephanie Gaberle

 Pic by: Robert Lüthje

Geboren und aufgewachsen ist sie in der pittoresken Millstätter See-Region in Südösterreich, mittlerweile lebt Esther in Berlin Prenzlauer Berg. “Als Kärntnerin war mir Neuköln, wo ich zuerst gewohnt hab und wo einfach jede Ecke völlig anders ist, ein etwas zu starkes Kontrastprogramm. In meiner neuen Wohnung bin ich total happy – es gibt viele Cafès, Familien und Ruhe – und da ich ja nicht mehr so oft nach Hause fahren kann, hilft mir das schon sehr beim Entspannen.” 

Ihre Musik ist eine Mischung aus klassischem Pop gemischt mit Elementen aus diversen Genres, wie Hip-Hop, R&B über Gospel bis hin zu Punkrock, unter Vertrag ist die Singer/Songwriterin bei RCA Local. Vor kurzem hat sie nicht nur ihre neue Single „Würde es auch tun“ herausgebracht, sondern auch ein Cover des Weihnachtssongs „Merry Christmas, everyone“. Zweiterer wurde schon letztes Jahr exklusiv für Apple aufgenommen, mit dem heurigen Winter gibt es auch ein Video dazu. “Zur Weihnachtszeit ist es eh immer ruhiger, also kann ich auch meine Weihnachtsvibes unter die Leute bringen“, grinst Esther. Generell sei sie ein bekennender Weihnachtsmensch und aktuell schon bereit für ein paar beschauliche Feiertage in Kärnten. “Ich bin ja auch gläubig und deswegen liegt mir das Fest mit meiner Familie sehr am Herzen.  Auf ein bisschen zur Ruhe kommen freu ich mich auch, es war ein turbulentes Jahr.”

Mit über 46 000 Followern auf Insta weiß Esther, was es heißt, auf Social Media quasi daueraktiv zu sein und immer darüber am Laufenden zu bleiben, was gerade am besten ankommt – und wo. “TikTok ist dahingehend eine echt gute Möglichkeit, die eigene Musik zu promoten und sich selbst auch vielschichtig zu präsentieren. Ich würde das auch wirklich allen empfehlen, die sich eine Community aufbauen und erfolgreich werden möchten.” Und hier liege gleichzeitig die Challenge: Auch wenn das Ganze durchaus Spaß mache – um coole Videos zu produzieren, brauche es eine Menge Zeit und kreative Kapazität. TikTok lasse sich nicht so leicht in den Alltag integrieren wie Instagram, zudem brauche man immer die Bereitschaft, neue Plattformen zu bespielen. “Nicht zu vernachlässigen sind unter anderem die YouTube Shorts oder verschiedenste Streaming Seiten. Und naja, die Tendenz geht eher in Richtung mehr Kanäle als weniger. Darauf sollte man sich einstellen – man muss immer wieder was raushauen, um nicht in Vergessenheit zu geraten.”

Diese ständige Präsentsein sei phasenweise mehr als fordernd und das schlage auch auf die kreative Arbeit. “Ich habe heuer das erste Mal gemerkt, ich kann nicht immer auf Knopfdruck kreativ sein, hatte sogar richtige Blockaden und war mit dem Kopf komplett woanders. Die meisten Selbstständigen kennen dieses Gefühl von Druck sich selbst gegenüber wahrscheinlich sehr gut. Da geht es um Respekt der eigenen Existenz gegenüber, um Erwartungen von so vielen Menschen, die erfüllt werden sollen und nicht wirklich viel Sicherheit. Es ist echt nicht so einfach, eine gesunde Balance zwischen Arbeit und Privatleben zu finden – aber daran sollte man unbedingt arbeiten, sonst brennt man sich irgendwann aus. Das sind dann nicht allein psychische, sondern auch physische Folgen, die der ganze Stress auslöst. Und die sind so facettenreich, dass man zuerst nicht gleich darauf hört.” Diese Ups and Downs, die der Vollzeitjob als Musikerin mit sich bringen, könne richtiggehend toxisch sein. “Das, was man an der Arbeit am wenigsten mag – Stress – ist genau das, was man daran auch so liebt.”

Weil Esther mit ihrem bürgerlichen Namen erfolgreich wurde, stehe sie zudem mit ihrer gesamten Persönlichkeit hinter ihrem Künstlerinnen-Dasein. Damit umzugehen sei herausfordernd, vor allem wenn man dazu neige, sich zu übernehmen, wenn gerade mehrere Projekte und Ideen umgesetzt werden möchten. “Was mir besonders wichtig ist, ist meinen Job nicht nur gut, sondern auch gerne zu machen und mir dabei eine ehrliche Dankbarkeit zu behalten. Ich reflektiere manchmal, wie ich mir das Ganze früher als Kind vorgestellt habe – das war nur eine vage Erahnung dessen, wie ein Leben als Musikerin wirklich aussieht und was da alles mitschwingt. Ich strebe ja die klassische Pop-Karriere an, das bedeutet ständig Termine, Interviews, 1–2 Stunden am Tag Koordination mit dem Management… Das Meiste davon macht mir zum Glück Spaß und ich versuche für mich herauszufinden, wo und wann ich mich am wohlsten fühle und was für mich funktioniert. Wenn dieser Rahmen passt, ist mein Beruf ein wirklich erfüllender für mich.”

 Pic by: Robert Lüthje

Wie würde ein Tag aussehen, wenn Esther ihn ganz nach ihren Wünschen gestalten könnte? “Also zunächst mal würd ich richtig ausschlafen. Ich brauche viel Schlaf, am besten so neun Stunden. Danach – ich bin nicht die große Frühstückerin – erstmal ein Cappuccino mit Hafermilch und richtig slow in den Tag starten. Als nächstes vielleicht irgendein lustiges Format produzieren, sowas wie “World Wide Wohnzimmer” oder andere coole Artists treffen und sich vernetzen. Im Anschluss dringend was essen, heute hab ich Lust auf indisch, weil es kalt ist – und dann wär’s cool, auf ein Event zu gehen, wo ich womöglich sogar ein kleines Konzert spielen kann. Ich bezeichne mich nicht so als die Partygeherin, also würd ich nicht ewig bleiben, aber ich bin ein sehr sozialer Mensch, unternehm gern was und hab meine Liebsten wenn möglich immer um mich. Vorm Schlafengehen brauche ich dann meine Zeit für meine Routine, da schaue ich wahrscheinlich eine Serie zum Gedankenabschalten und nehme mir viel Raum für meine Gesichtspflege. Da bin ich übrigens voll drin, also Öle, Cremes und so – das ist genau meins und da fühl ich mich danach auch richtig gut, wenn ich mir das gönne.” Apropos: Ein weiterer omnipräsenter Druckfaktor im Business sei die Selbstkritik. “Dinge, die mir früher nicht aufgefallen sind, stechen mir heute ins Auge und ich merk schon, dass ich kleinlicher bin als zuvor, wenn es um mein Äußeres geht, was mich schon etwas belastet. Ich möchte mich in mir wohlfühlen und daran arbeite ich auch und achte auf meinen Körper. Trotzdem verspüre ich manchmal Angst – auch jetzt schon – alt zu werden und etwas zu verpassen während ich mich permanent stresse. Und dann besinne ich mich immer wieder und rufe mir ins Gedächtnis, dass ich erst 24 Jahre alt bin und noch ganz viel Zeit habe und die Karriere ja auch nicht mit 30 vorbei ist, sondern für viele erst losgeht.“ 

Im April 2023 startet Esthers erste Headliner Tour, in deren Rahmen es auch in Österreich zwei Auftritte geben wird. “Ich freu mich schon so darauf! Wir spielen in Wien und Salzburg und sind insgesamt in neun Städten unterwegs. Da meine Musik anscheinend im Norden Deutschlands im Vergleich zum Süden eine große Fanbase hat, werden wir verstärkt dort spielen.” Wie schaut es dahingehend in Österreich aus? Esther lacht. „Ja, da kommt meine Musik in Deutschland derzeit wohl noch besser an, zumindest hat sie da bisher mehr Früchte getragen. Vielleicht liegt das daran, dass die Radiosender bei uns ein wenig konservativer sind oder ich keinen Indie mach? Ein paar der Shows in Deutschland sind jetzt schon ausverkauft, was ich sehr schön finde. Vielleicht dauert es noch ein wenig, bis meine Musik nach Österreich überschwappt – auf jeden Fall würd ich mich unglaublich freuen, mehr Konzerte in meiner Heimat spielen zu können. Generell will ich unbedingt mehr hier machen, aber mir kommt vor, die Medien hier wissen oft nicht, dass ich Österreicherin bin? Oder Bock hab? Nur zur Info: Ich hab Bock – ich liebe und schätze Österreich und möchte vielleicht irgendwann auch langfristig wiederkommen.” 

Bei der Tour selbst lege Esther viel Wert darauf, ihre eigenen Ideen und Konzepte mit einzubringen. Bühnenshow, Bühnenbild, Setlist, Merch-Design – überall sei sie direkt eingebunden und gebe kreativen Input, um der Show authentische Züge zu verleihen. “Ich versuche immer in engem Austausch mit meinem Creative-Team zu sein. Ich vertraue ihnen total und wir arbeiten großartig zusammen – und ganz zum Schluss vertraue ich dann auf meine eigene Wahrnehmung, die mich dahin gebracht hat, dass ich überhaupt meine eigene Tour planen kann. So behält das Ganze meinen Charakter und kann sich langfristig in die Richtung entwickeln, in die ich schaue.” Durch stetige Veränderungen im Umfeld sei es für sie essentiell, auf das eigene Bauchgefühl zu vertrauen und sich eine gewisse Freiheit zu bewahren. “Es passiert so schnell, dass Abhängigkeiten entstehen und das Projekt dann nicht mehr deines ist. So sind schon unzählige Karrieren bergab gegangen, weil andere Köpfe einfach zu viel zu sagen hatten. Artists stehen und fallen mit dem richtigen Management und man tut gut daran, sich die Menschen gut auszusuchen, mit denen man zusammenarbeitet und die einem Feedback geben.” Auch das gehöre zu einer Musikkarriere dazu – zu lernen, welches Umfeld gut tue und kreativ möglichst autark zu bleiben. “Das Musikbusiness ist ein sehr schnelllebiges und es wird mich immer wieder in unterschiedliche Richtungen ziehen. Die Welt verändert sich so, wie mein Leben und ich mich selbst – und dementsprechend auch meine Musik. Ich möchte mich da gar nicht so festlegen, sondern immer offen für Neues sein, nicht eine Sache für immer durchziehen. Immer neugierig und begeisterungsfähig bleiben. Das ist für mich Teil des Games.”

Mehr Infos zu Esther Graf und ihrer Tour gibt es beispielsweise auf Instagram.