Judith Schwarz

Die Wienerin Judith Schwarz schafft es nicht nur Bandgefüge zusammenzuhalten, sondern, wie jüngst am Burgtheater, auch Schauspielern Ausdruck zu verleihen. Wir haben sie nach ihrer Südafrika-Tour zum Interview getroffen, um sowohl über ihren Zugang zur Musik, als auch über so manchen Zweifel zu sprechen, den es zugunsten der Kreativität zu überwinden gilt.

Du bist gerade von einer Tour in Südafrika zurückgekehrt. Welche Eindrücke hast du dabei mitgenommen?

Ich bin mit meinem Trio First Gig Never Happened gerade beim NASOM-Programm dabei, New Austrian Sound Of Music, bei dem man von der Mica und vom BKA Unterstützung erhält. Dabei werden immer circa fünf Gruppen oder Interpreten pro Genre ausgewählt, die dann auf ihrer Tour unterstützt werden beziehungsweise auch für Gigs in den Botschaften in verschiedenen Ländern auftreten dürfen. Jetzt haben wir eben in Kapstadt und Johannesburg eine zehntägige Tour gespielt und dort beim Festival „Jazz In The Native Yard“ sogar die Gelegenheit gehabt, in etwas gefährlicheren Gegenden zu spielen, das hat bleibenden Eindruck hinterlassen. Letztes Jahr waren wir außerdem in Ankara, Istanbul, Kasachstan und Kirgistan. Ich war überhaupt recht viel unterwegs in den letzten zwei Jahren, etwa mit meiner ersten Band, chuffDRONE, am Jazzfestival in Buenos Aires. Es ist interessant, die eigene Musik in weiter entfernten Ländern zu spielen und Workshops zu halten in Schulen oder Universitäten. Dabei bekommt man wirklich mit, welchen Zugang zu Musik und welche Einflüsse sie dort jeweils haben. Das ist schön zu sehen, weil man dadurch einen neuen Blickwinkel bekommt - einerseits wieder sieht, was man hier in Europa vielleicht schon vergessen hat und andererseits was man hier wieder zu schätzen lernt.

Also auch bezogen auf eure Musik und das Feedback darauf?

Genau, ob das jetzt zum Beispiel extrem innovativ ist für manche oder befreiend bezüglich Dingen, die für uns selbstverständlich sind. Andererseits auch, wie nahe sie einer Kultur sind, die sie verinnerlicht haben und die man bei uns nicht mehr richtig spürt. Die Konzerte waren wirklich super und wir haben sehr viele Leute erreicht. Man spielt jedes Mal vor neuen Leuten, das ist sehr befreiend. In Wien ist die Szene ja recht klein und du kennst oft fast alle Leute im Publikum. Daher kannst du nicht wirklich bei Null anfangen, während auf Tour der erste Schlag wirklich noch der erste Schlag ist, den das Publikum von dir hört.

Macht das für dich einen großen Unterschied, wer im Publikum sitzt oder fühlst du dich in deinem Spiel völlig unabhängig davon? Spielst du in gewissen Situationen befreiter auf?

Ich gehe zum Beispiel nicht so gerne Leute begrüßen vor einem Konzert, weil ich mich auf den Spielmoment und auf die Band fokussieren will. Aber ich finde es eigentlich schon meist befreiter, wenn ich gar niemanden kenne. Obwohl ich es manchmal schön finde, wenn ich jemandem von dem Projekt erzählt habe und diese Person dann beim Gig ist. Dann weiß ich, dass sie ein Bild davon bekommt. Aber ich versuche generell mit den Gedanken bei der Musik zu bleiben und nicht zu hinterfragen, wie ich gerade wirke. Dann wäre ich nämlich einen Gedanken weiter weg vom gemeinsamen Musizieren.

Deine Eltern sind beide Musiker. Wie war es für dich, von klein auf so intensiv mit Musik umgeben zu sein und wie hat sich das auf deine individuelle Entwicklung ausgewirkt?

Als Kind zweier Jazzmusiker hatte ich wahrscheinlich weniger Hemmungen, das auch zu studieren, weil ich ja gesehen habe, dass es funktionieren kann. Dadurch hatte ich generell Vertrauen darin. Natürlich wurde ich auch immer stark beeinflusst von den Sachen, die meine Eltern geübt haben, aber ich habe dann während meiner Schulzeit am Musikgymnasium auch ganz andere Sachen für mich entdeckt und gespielt. Einige Zeit lang war ich dann aber einfach nur „jugendlich“, also ohne wirkliches Interesse. Bis ich auf einem Workshop von Jim Black in Salzburg war. Damals habe ich noch gar nicht wirklich gut Schlagzeug spielen können. Ich habe zwar seit ich sechs war Unterricht gehabt, aber den eigenen Willen und die Eigeninitiative zum Üben habe ich erst durch diesen Workshop richtig gespürt. Jim Black hatte so eine eigene Art und Weise zu vermitteln, dass sich jeder Musiker am besten auf die ihm zur Verfügung stehenden Mittel berufen soll, um miteinander auf gleicher Ebene musikalisch zu kommunizieren.

War das für dich dann der Anstoß für die eigene Spielweise und deine Leidenschaft in diese Richtung?

Ja absolut. Es ging eben nicht darum, wie man irgendwelche Bigband-Fills auswendig lernen oder wie man jedes Genre korrekt begleiten kann. Das ist zwar super, um eine Sprache für jede Situation zu haben und als Profi sehr wichtig, aber bei ihm lag der Fokus auf der eigenen Sprache – was sagst du eigentlich aus. Das ist das Einzige, wo jeder besonders ist. Man muss nur den Ehrgeiz haben, das am eigenen Instrument zu entwickeln, aber dann ist jeder einzigartig. Das war für mich ein Aha-Moment und mir ist bewusst geworden, dass ich nicht darüber nachdenken muss, wie alt ich bin oder ob ich noch die Aufnahmsprüfung auf die Uni schaffe, sondern versuchen, mich auf meinem Instrument auszudrücken. Dann muss man nur noch das Glück haben, dass irgendwer hören will, was man zu sagen hat. Aber diesen Ansatz fand ich extrem befreiend und das hat mir Lust gemacht, einen Sound zu kreieren, bei dem jeder seine eigene Stimme einbringen kann. Es gibt viele Menschen, die etwas Interessantes zu sagen haben, aber auf ihrem Instrument noch nicht soweit sind, alles auszudrücken. Gerade als Schlagzeuger bereichert man Kompositionen und ist eine Art Einfärber. Man hat im Grunde so viel Freiheit dabei und kann sehr viel von sich selbst einbringen. Oft hat man irgendetwas in sich, was man in einem bestimmten Moment zur Musik beisteuern will und dann ärgert man sich, wenn man das technisch noch nicht so umsetzen kann. Genau dafür sind die Stunden, in denen man übt, da. Nach ein paar Jahren kannst du es dann.

Wie hast du dann diesbezüglich geübt?

Ich habe manchmal gerne Technik als eine Art Meditation geübt. Das ist wie ein Workout und man muss nicht über das Künstlerische nachdenken, sondern nur etwas trainieren. Gerade beim Komponieren oder bei der Arbeit als Musiker generell ist man so sehr mit seiner Persönlichkeit involviert, dass das ein super Ausgleich sein kann. Das kann einen auf eine gewisse Weise auch süchtig machen. Es hat etwas Ritualmäßiges, Monotones und man fühlt sich oft danach viel wohler am Instrument, weil man die Feinheiten wieder mehr spürt: Kleine, große, leise, laute Schläge – wenn man zum Beispiel bewusst in jede Richtung übertreibt und wahrnimmt, wie sich das anfühlt. Da wird man wieder viel flexibler, habe ich das Gefühl.

Im Burgtheater hast du bei der Inszenierung von Klaus Manns Mephisto als Soloschlagzeugerin mitgewirkt. Wie sehr hast du dich dabei mit dem Stück selbst und den Figuren auseinandergesetzt, um die Aufführung musikalisch treffend zu untermalen?

Zuerst habe ich den Film mit Klaus Maria Brandauer gesehen und dann auch den Text gelesen, aber beim Lesen konnte ich die einzelnen Situationen noch nicht so recht abschätzen, da durch den riesigen Aufwand der Inszenierung – Bühnenbild, Licht, Kostüm et cetera – sich das Stück während der Proben auch ständig gewandelt hat. Es war also eigentlich ein Ausprobieren, was wann passt und was sich gut anfühlt. Wichtig ist bei einer großen Produktion, dass der musikalische Leiter, in dem Fall Arthur Fussy, vorne sitzt und alles sieht, die Schauspieler in ihrer Gestik beobachtet und mir Feedback gibt, wie mein Spiel dazu wirkt – ob ich leiser oder lauter spielen oder eine andere Klangfarbe einbringen soll. Das war also ein Prozess, bei dem es nichts Vorgefertigtes gab, sondern nur ein Treffen mit dem musikalischen Leiter, dem ich verschiedenes von meiner Klangfarbe gezeigt habe. Das hat er aufgenommen und sich überlegt, wofür es jeweils passen könnte. Dadurch, dass bei einer solchen Produktion zwei Monate intensiv geprobt wird und sich die Inszenierung durch die Schauspieler weiterentwickelt, war es ein sehr interessanter Prozess. Am Anfang ist man eher noch ein Störfaktor für die Schauspieler, weil sie sich erst in ihrer Rolle einfinden müssen und dann halt auf einmal jemand von hinten 'bumm-bumm' macht bei irgendeinem Schlagwort. Mit der Zeit hat man aber wirklich gespürt, wie sie dadurch in eine neue Szene hineinkatapultiert werden und darauf trainiert sind, auf mein Spiel zu reagieren. Das war schön zu beobachten.

Variierst du dabei auch von Aufführung zu Aufführung oder ist jetzt im Endeffekt festgelegt, was du genau spielst?

Mittlerweile muss es bei jeder Aufführung punktgenau sein, wie ein Film. Würde ich da ein Stichwort verpassen, wäre der Moment dahin. Aber es gibt ein paar Monologe, die ich begleite. Da bin ich quasi mit der Stimme alleine und man kann gut aufeinander eingehen und reagieren, somit also auch ein wenig improvisieren.

Bei deinem Projekt Little Rosie's Kindergarten verfolgst du unter anderem das Ziel, mit einer ganzen Bigband zu improvisieren. Wie kam es zu dieser Idee?

Ich habe das Fire! Orchestra im Porgy & Bess gesehen und extrem stark gefunden. Diese Kombination aus einer riesigen Bläsersection, zwei Rhythmusgruppen und teilweise sehr meditativen Grooves, über die frei improvisiert wird, fand ich extrem monumental. Das hat mir große Lust gemacht, etwas in diese Richtung zu versuchen. So ein großer Klangkörper entfaltet sich ja leider nur selten. Es gibt auch wenige Bigbands in diese Richtung, da es natürlich recht schwer zu organisieren ist. Ich habe mir gedacht, dass es cool wäre eine Band aufzustellen, die groß ist, wo ich das Gefühl habe, dass alle für alles offen sind, aber derselben ästhetischen Linie folgen und gerade in einem Lebensstadium sind, in dem sie Zeit für sowas haben. Mir war wichtig, dass jeder etwas einbringen kann und will. Die Frage war also, ob ein solches Bandkonzept auch in einer Großbesetzung funktionieren kann. Wenn sich jeder involviert fühlt, sollte es sich auch besser organisieren lassen und für jeden ergiebig sein - nicht unbedingt finanziell, aber musikalisch. Es hat dann circa zwei Jahre gedauert unter ständigem Auf und Ab. Mit der Zeit hat sich aber eine Art eigener Stil entwickelt, der nicht einen Komponisten widerspiegelt, sondern die ganze Gruppe. Die völlige Freiheit kann allerdings oft auch wieder zu viel sein, daher muss man herausfinden, wie man sich in einer freien Improvisation ein bisschen organisieren kann. Manchmal ist ein kleiner Leitfaden nützlich für die Kreativität, vor allem bei 13 Leuten. Die Konzerte und Proben haben dabei viel gebracht und es war toll, dass wir in Saalfelden eröffnen durften, noch dazu an meinem Geburtstag und dass sich die Band wirklich als Band gesehen hat.

Was war dein persönlicher Leitfaden in deiner Entwicklung als Musikerin, den du auch anderen empfehlen würdest?

Ich finde es gut sich zu überlegen, warum man etwas macht und was einem an der Sache Spaß macht. Genieße ich es, einfach für mich selbst zu spielen als Ausgleich, will ich etwas erschaffen oder auf ein wirkliches Ziel hinarbeiten? Oder ist der Weg das Ziel, also das gemeinsame Proben mit einer Band? Diese Fragen sollte man sich auch immer wieder von neuem stellen, weil man immer wieder in einer neuen Lebensphase ist. Wichtig ist aber auch, dass man nicht einfach nur im Kammerl sitzt und wartet bis man gut genug ist, denn es gibt so viele Leute mit ähnlichen Ideen und Vorstellungen.

Hat es für dich selbst auch Punkte gegeben, an denen du vieles hinterfragt hast?

Ja. Zum Beispiel, dass ich beim Studium manchmal ein bisschen betriebsblind geworden bin. Es ist ein unendliches Üben und das ist auch gut so, weil ja der Weg das Ziel ist und man nie auslernt. Aber dass man in jeder Lebensphase eine neue Balance findet in dem Ganzen und nicht immer nur übt und übt und übt, sondern sich in Erinnerung ruft, wofür man das eigentlich macht, ist wichtig. Gerade beim Studieren, wo man sich leicht in diesem Rad verlieren und Routine zu einer Art Bürde oder Käfig werden kann, den man sich selbst macht. Jede Zeit hat ihre unterschiedlichen Prioritäten, denen man sich bewusst werden sollte.

 

Interview: Moritz Nowak

 

Foto 1: Alexander Fitzthum

Foto 2: Hans Klestorfer