Michał Wierzgoń

 

Seit über vier Jahren studiert Michał Wierzgoń in Linz, wo er mit Purple is the Color eine der interessantesten jungen Jazzformationen des Landes mitbegründet hat. Im Interview erklärt der gebürtige Tscheche seinen Zugang zum Instrument und verrät, wie ihn ein Buch über Tennis zum besseren Musiker reifen ließ.

Man darf dir ganz aktuell zum Gewinn der Central European Jazz Competition mit Purple is The Color gratulieren. Kam das überraschend?

Vielen Dank! Ja, damit haben wir eigentlich nicht gerechnet. Ich war schon bei vielen Wettbewerben dabei und meist hängt das Ergebnis natürlich vor allem vom Geschmack der Jury ab und gerade bei dieser Competition war ich ziemlich überzeugt davon, dass wir nicht gewinnen werden, da wir ja doch recht poppigen Jazz machen, mehr in die Richtung eines Avishai Cohen. Daher habe ich wirklich nicht erwartet, dass es klappt. Aber es freut uns sehr, weil wir dadurch sowohl Coaching mit tollen Musikern als auch einige Auftrittsmöglichkeiten, unter anderem am Jazz Fest Brno, gewonnen haben. Nachdem wir 2017, nach unserem Debütalbum, bereits recht viel international unterwegs waren, soll in Zusammenhang mit diesen Gigs die nächste kleine Tour entstehen.

Mit welcher Idee habt ihr das Projekt gestartet? War Avishai Cohen, den du gerade genannt hast, ein konkretes Vorbild für euren Sound?

Also am Anfang kamen circa 90 Prozent unserer Ideen von unserem Pianisten, Simon Raab, den ich in seinem Abschlussjahr an der Bruckner Uni in Linz kennengelernt habe. Er hat bereits ein großes Repertoire gehabt, das er mit dieser Formation umsetzen wollte. Mittlerweile schreibt jeder von uns mit. Der Stil ist dadurch entstanden, dass seine Kompositionen bereits sehr melodiös waren und wir uns alle beim Komponieren einen gewissen intuitiven und improvisatorischen Zugang bewahren wollen.

Wie bringst du dich als Schlagzeuger beim Komponieren ein?

Bei uns hat jeder in der Band einen Vote, kann also mitbestimmen. Wir besprechen jeden Vorschlag und jede Komposition gemeinsam und bringen unsere Ideen ein. Das ist auch für mich das Wichtigste in der Band. Es gibt keinen Leader in dem Sinn, sondern wir arbeiten alle zu gleichen Teilen mit und haben das gleiche Mitbestimmungsrecht. Ich selbst schreibe manchmal auch eigene Nummern, zum Beispiel "For Now" auf unserem Debütalbum.

Habt ihr euch schon was für das nächste Album vorgenommen?

Wir wollen vor allem einen neuen Ansatz beim Veröffentlichen probieren. Nämlich dass wir kein ganzes Album produzieren, sondern mehrere EPs in regelmäßigen Abständen, weil wir erstens glauben, dass das dem heutigen Zugang, wie Musik konsumiert wird, eher entspricht und zweitens die Möglichkeit bietet, dass unsere Musik immer präsent ist.

Du nennst Jeff Boudreaux, bei dem du in Linz studiert hast, als deinen Mentor. Was macht seinen Zugang so besonders?

Es gibt viele Zugänge, wie man unterrichten kann und ich sage nicht, dass der eine schlechter oder besser als der andere ist. Aber ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass sich Lehrer und Student gut verstehen. Bei Jeff war es am Anfang komisch für mich, weil er einen total anderen Zugang hatte, als ich es bisher gewohnt war. Bei meinem ersten Unterricht mit ihm hat er mir einfach nur zwei, drei Bücher zum Lesen gegeben. Eines davon war "The Inner Game Of Tennis". Das war natürlich nicht das was ich mir erhofft hatte, nachdem ich ganz neu in der Stadt war und noch niemanden gekannt habe. Da habe ich mir schon ausgemalt, dass ich jetzt in alle Geheimnisse eingeweiht und inspiriert werde und dann gibt er mir einfach ein Buch über Sport zum Lesen auf. (lacht) Das war dann in meinem ersten Jahr bei ihm immer wieder so, dass ich Dinge gelernt habe, die auf den ersten Blick merkwürdig waren, aber nach einiger Zeit sehr wohl einen Sinn ergeben. Das ist halt Teil seiner Methode, dass er auf Dinge setzt, die ihre Entwicklung brauchen bis sie ihr Ziel erreichen und dieses Buch ist in dieser Hinsicht auch interessant, weil es um einen speziellen Zugang zum Lernen geht und darum, dass sich viele Lernprozesse hinter Tätigkeiten verstecken, wo man sie nicht erwarten würde. Beispielsweise hat er mir quasi untersagt, technische oder schnelle Sachen zu spielen und mir stattdessen aufgetragen, zwei Stunden lang nur reine Swingbegleitung zu einem Playalong zu spielen, ohne ein Break, Fill oder anderes einzubringen. Das war wie eine Form von Meditation und dabei ist es einfach ums Vertiefen gegangen, indem man abgesehen von der ganzen Technik einfach lernt, einen Groove zu spielen und ihn wirklich zu verstehen. Es kommt oft nicht darauf an was du spielst, sondern wie und warum du es spielst. Dazu gehört auch, sich selbst aufzunehmen, um von außen wahrzunehmen, wie man sein eigenes Spiel verändert.

Jeff Boudreaux stammt ja aus Louisiana und ist mit Jazz und New Orleans Funk aufgewachsen. Hat dieser Einfluss auch Auswirkungen auf dein eigenes Spiel gehabt?

Ja, ganz sicher. Ich habe außerdem bereits am Anfang gemerkt, dass in seinem Spiel etwas drinnen ist, was ich nicht nennen kann. Ich konnte das nur spüren – auch physisch, nicht nur “im Kopf”. Bevor ich ihn kennengelernt habe, hatte ich nicht ganz genau gewusst, was ich mir unter dem Begriffen Sound und Grooves vorstellen sollte. Ich habe geglaubt, dass die Technik das wichtigste Element des Spielens ist und es ohne sie überhaupt nicht funktionieren würde. Der Jeff hat mir genau das Gegenteil gezeigt. Obwohl er überhaupt nicht technisch spielen musste - und zum Beispiel nur einen simplen Groove vorgespielt hat - hat es unglaublich gut geklungen. Meiner Meinung nach hängt das schon mit dem Einfluss von New Orleans zusammen. Ihm selber ist auch der Sound und Groove viel wichtiger als eine ausgeklügelte Technik. Das bedeutet aber nicht, dass die Technik nicht geübt sein sollte. Im Unterricht haben wir uns genauso auch mit Technik beschäftigt.

Wie waren eigentlich deine ersten Erfahrungen mit dem Schlagzeug?

Ich komme aus einer musikalischen Familie. Meine Mutter unterrichtet Orgel und Klavier, ist auch Organisatorin des internationalen Orgelfestivals in Karviná und mein Vater, obwohl er nicht beruflich Musik macht, ist auch ein großer Musikliebhaber, spielt Akkordeon in der Volksmusikgruppe und hat mir als Kind schon immer neue Platten vorgespielt. Das hat mich sehr beeinflusst, weil man in der Familie eben immer Musik um sich herum hatte und durch dieses damalige Entdecken von neuen Sachen habe ich auch heute dieses Interesse, immer andere Stile zu finden. Ich habe dann aber zuerst mit dem Klavier begonnen, weil mein erster Lehrer gemeint hat, dass ich für das Schlagzeug noch zu klein wäre. So habe ich erst im zweiten oder dritten Schuljahr mit Schlagzeug angefangen und bei Jakub Kupčík gelernt, später dann am Musikkonservatorium, das mit unserem Gymnasium zusammengearbeitet hat, bei Rostislav Mikeška. Beide haben mich stark beeinflusst. Ich habe durch meine Lehrer auch viele Möglichkeiten bekommen, in Percussionbands dabei zu sein und sowohl Jazz als auch Klassik gelernt. In dieser Zeit habe ich noch nicht ganz gewusst, ob ich mehr Richtung Klassik oder Richtung Jazz, also Drumset, gehen soll.

Kannst du dir vorstellen, in Zukunft auch im klassischen Bereich zu arbeiten oder fühlst du dich schon angekommen in deinem Metier?

Ich habe auf klassischen Schlagwerkinstrumenten zwar eine gute Basis, jedoch bin ich natürlich nicht so gut wie Klassik-Profis und habe derzeit auch keine Ambition in diese Richtung zu gehen. Ich kann mir aber vorstellen, einmal ein Schlagzeug-Soloalbum aufzunehmen, bei dem ich auch Marimba und andere Perkussionselemente einbringe. Mein Ziel war ursprünglich, dass ich nach meinem Studium ein zwei eigene Alben produziere, auf denen eben solche klassischen Elemente und auch elektronische Musik miteinbezogen werden. Ich höre selbst auch viel elektronische Musik und bei meinem Bachelorkonzert habe ich mich zum Beispiel mit Sensory Percussion beschäftigt. Mir taugt auch sehr, was Mark Giuliana oder Marcus Gilmore machen, die Elektronik und andere Soundmöglichkeiten in ihr Spiel einbringen. So etwas zu machen, ist ebenfalls ein Ziel von mir und ich hoffe, dass ich dem durch mein Masterstudium näher komme.

Du bist neben Purple is the Color auch bei einigen anderen Projekten beteiligt, unter anderem mit Harry Sokal.

Im ersten Jahrgang gab es das Fach Jazzimprovisation, das er geleitet hat. Ich habe zu der Zeit immer mit Martin Kocián, einem befreundeten Bassisten, zusammen gespielt und Anfang des zweiten Studienjahrs ist Harry Sokal auf uns zugekommen und hat gemeint, ob wir nicht mit ihm ein Projekt starten wollen. Wir waren natürlich total erfreut und überrascht. Er wollte eben Material, das er in einem früheren Projekt mit Art Farmer gespielt hat, wieder zum Leben erwecken. Dazu kam dann noch John Arman an der Gitarre, der auch an der Bruckner Uni studiert hat. Ich nehme das als tolle Erfahrung mit, für die ich sehr dankbar bin. Nicht nur in musikalischer Hinsicht. An der Uni haben wir dann das Album dazu produziert, wobei die Produktion in die Lehre eingeflossen ist, indem es allen Studierenden offen stand, uns bei der Produktion zuzuschauen. Mit diesem Projekt werde ich kommendes Jahr auch wieder unterwegs sein. Aber jetzt steht außerdem ein großes Projekt von Beate Wiesinger an: „e c h o boomer 7“, das sich zwischen Jazz und Pop bewegt und bei dem ich mitwirke, darauf bin ich auch schon sehr gespannt. Wir haben die meisten Stücke für das Album im Radiokulturhaus aufgenommen und sind jetzt gerade in der Postproduction damit.

Woran arbeitest du bei deinem Spiel gerade und was möchtest daran im Zuge deines Masterstudiums noch verbessern?

Für mich ist das Wichtigste, dass ich die Musik die ich spiele auch gut bedienen kann. Wenn ich jetzt zum Beispiel eine Einladung für eine Math-Metal Band oder sonst etwas erhalte, dann ist klar, dass ich mich erst in diesen Stil einarbeiten muss. Gerade wenn man viele verschiedene Projekte verfolgt, ist es wichtig, das jeweilige Ziel der Musik zu erreichen. Vor einigen Jahren habe ich da auch noch anders darüber gedacht, weil ich geglaubt habe, dass es immer um die super Technik geht. Aber es ist eben viel wichtiger, zu erkennen was die jeweilige Musik braucht. Beim Üben selbst habe ich mir angewöhnt, manchmal gezielt ohne Schlagzeug, einfach nur mit den Fingern oder Händen zu üben. Technikworkouts mache ich fast immer zur Musik. Außerdem ist mir Bewegung besonders wichtig als Ausgleich, denn der körperliche Zustand macht einen großen Unterschied beim Spielen. Wenn ich genug Sport mache - Laufen oder Workout - habe ich weniger schnell Rückenschmerzen und ähnliches. Wenn man jung ist kann man alles noch locker spielen, aber was ist in 30 Jahren? Man kann mit der Zeit eben gewisse Probleme bekommen, deswegen ist es wichtig, dass man auch etwas für seinen Körper tut.

 

Interview: Moritz Nowak

 

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