Laid Back. Warum falsch spielen auch richtig sein kann!
Jeder Schlagzeuger bzw. jede Schlagzeugerin, welcher/welche länger als ein zwei Jahre sein/ihr Instrument spielt und sich damit auseinandersetzt, ist schon einmal unserem gemeinsamen natürlichen Feind begegnet: das Metronom. Häufig wird einem an den Kopf geworfen, man schleppe, oder liefe davon, im Bezug auf das Tempo eines Songs, Stückes, oder auch nur beim wöchentlichen Jam im üblichen Proberaum. Durch Disziplin und harte Arbeit ist es aber auch möglich eine mehr oder weniger makellose Spielweise zu entwickeln. Die Eins ist auf der Eins, der Backbeat erzeugt die gewünschte Kontinuität und die Sechzehntel auf der Hi-Hat sitzen genau an der richtigen Stelle. In Drummer-Sprache: der Beat klingt richtig tight. Wenn man das exakte Spielen gelernt hat und nun anwendet, funktioniert das in den meisten Fällen wahrscheinlich recht gut und zuverlässig.
Nun wenn das, die Quintessenz des Schlagzeugspielens wäre, würde es diesen Artikel nicht geben. Das soll heißen, das wir hier über die Grenzen der „Tightness„ hinausgehen. So manch einer kennt das Gefühl sicher, wenn man probiert einen ganz speziellen Beat nachzuspielen, dieser jedoch trotz Techniktrockentraining und ausgiebiger Vorbereitung, einfach nicht dem Original nahe kommt. Vieler dieser Phänomene sind oft dem sogenannten Micro-Timing zu verschulden. Es geht dabei um mikroskopische kleine Verschiebungen von einzelnen Noten innerhalb des Beats. Diese Verschiebung kann sowohl nach vorne, als auch nach hinten gemacht werden. Das letztere werden wir uns hier mal ein wenig genauer vorknöpfen: das sogenannte Laid-Back-Spiel.
Es geht also darum Noten absichtlich zu spät zu spielen. Oder sagen wir mal, ein wenig zu spät zu spielen. Es scheint also, als ob es eine sehr spezielle Art des Schlagzeugspielens ist. Durch diesen speziellen Charakter dieser Spielweise ist sie eben auch nicht in allen Genres zu finden. So kann es auch sein, dass man bereits mehrere Jahre Schlagzeug spielt bevor man mit diesem, nennen wir es mal Stilmittel, konfrontiert wird. Wenn man sich dann einmal damit auseinandersetzt, kommen dabei normalerweise ein paar Fragen auf: „Wo wird es verwendet?„, „Welche Noten werden denn genau verschoben?„ und . „Wie stellt man das am besten an?„.
Die Anwendung dieses Stilmittels ist sehr breit gefächert und in fast jedem Genre zu finden. Trotzdem gibt es Stile, in denen es tendenziell häufiger auftaucht. Eine Musikrichtung (obwohl es wohl eher hunderte Musikrichtungen sind) muss hier natürlich sofort erwähnt werden. Jazz. Abgesehen davon muss gleich danach Hip-Hop genannt werden. Hier wirken Beats oft leicht wackelig. Es scheint dann so, als würde das Tempo stolpern. Gerade bei produzierten Beats, welche nicht an einem akustischen Schlagzeug eingespielt wurden, ist diese Verschiebung meist gut zu hören.
Nun kurz ein wenig über das „Wie?„. Natürlich geht es beim Laid-Back-Spielen nicht darum einfach alle Noten ein wenig nach hinten zu schieben. Dann würde man, wenn man alleine am Schlagzeug übt, ja gar nichts bemerken, da die Abstände zwischen den einzelnen Noten zueinander dieselben blieben. Es kann natürlich sein, dass man alle Noten verschiebt, jedoch ist das nur mit einer anderen Referenz möglich. Ein Beispiel wäre, wenn nur der/die Schlagzeuger/in „hinterher spielt„ die restlichen Musiker jedoch in time sind. Somit kann diese spezielle Art nicht alleine ausgeübt werden. In den meisten Fällen jedoch werden nur ganz wenige Noten verschoben. Die einfachste Art und Weise es zu erlernen ist, dass man einfach den Backbeat, also Zwei und Vier, ein ganz kleines Stückchen nach hinten schiebt. Dadurch kommt im Normalfall die Hi-Hat kurz vor der Snare. Durch diese zwei Verschiebungen kommt es meist schon zum gewünschten Effekt. Am einfachsten erlangt man diesen kleinen Abstand so, dass man die Snare einfach wie eine Art Flam spielt. Dabei sollte jedoch die Hi-Hat in Time sein und die Snare zu spät kommen. Diese Denkweise ist insofern sehr hilfreich, da sie keinen bestimmten Zeitabstand zwischen den Verschiebungen vorgibt. Dies ist jedoch nur eine Variante wie man einen solchen Effekt erzielen kann. Das Gefühl, welches diese Spielweise, vermitteln soll, ist eine gewisse Gemütlichkeit, die sich im Rhythmus breit macht. Deshalb auch der Name Laid-Back.
Man merkt hier bereits, dass es schwierig ist das Laid-Back-Feeling in eine einheitliche theoretische Form zu bringen. Oft sind die Abstände in den Verschiebungen auch unregelmäßig oder es werden andere Noten verschoben. Manchmal passiert dies auch gar nicht bewusst, sondern entsteht einfach aus dem Kontext der Musik. Ich persönlich würde es auch eher als ein Gefühl beschreiben. Man könnte es natürlich auch als eine Form von Technik sehen, jedoch ist dies unzureichend, da es so viele verschiedene Arten gibt, wie dieser Effekt erzeugt werden kann, oder auch einfach nur entsteht. Pure Technik würde hingegen einem genauen Ablauf folgen. Außerdem ist es in unserer rationalisierten Gesellschaft auch schön zu wissen, dass Musik doch noch Gefühlssache ist und nicht zu hundert Prozent theoretisiert werden kann. Wie gesagt gibt es dieses Stilmittel auch in digital produzierten Drumbeats. Es ist hier nicht ausgeschlossen, dass diese ebenfalls an einem Drumcomputer, Midikeyboard oder ähnlichem, per Mensch, eingespielt wurden. Dies würde bedeuten, dass die Verschiebung wieder eher aus dem Gefühl eingespielt wurde, als dass sie aktiv durch digitale Quantisierung erfolgte.
Es wirkt ein wenig unbefriedigend, dass man solche Mühen auf sich nimmt, eine tighte Spielweise zu entwickeln, nur um am Ende sich wieder den Kopf zu zerbrechen wie man „untight„ spielen kann und es trotzdem gut klingt. Die Wahrheit ist jedoch, dass diese „Untightness„ eben unser individuelles Spiel ausmachen und falsch spielen eben auch richtig sein kann. Jeder fühlt sein Instrument anders und kreiert seine eigene Identität als Schlagzeuger/in. Die Fähigkeit diese Eigenheiten ein wenig zu steuern, bewirkt einzig und allein, dass man als Schlagzeuger, wieder ein Stück gewachsen ist.
Hier noch ein paar Songs in denen das Laid-Back-Feeling gut zu hören ist:
- Takuya Kuroda – Rising Son
- Koenig – Rain Colour 9
- J Dilla – Kamaal
Artikel: Adam Zehentner