„Eine Art Innenschau“
„Zelluläre Automaten sind ein mathematisches Modell zur abstrakten Erfassung komplexer Interaktionen“. Zelluläre Automaten lautet auch der Titel des aktuellen Albums der Wiener Intelligent-Rock Band Rosensprung. Weniger mathematisch aber umso komplexer setzt sich die Musik von Rosensprung mit Phänomen ihrer Zeit, ihrer Umgebung und ihrer selbst auseinander. Alexander Csurmann im Gepräch mit Sänger und Gitarrist Tobias Leibetseder und Bassist Gernot Manhart.

Was ist das musikalische Konzept hinter Zelluläre Automaten?
Gernot: Es sollte ein dichtes und opulentes Werk werden. Die verschieden Parts der Songs wurden ähnlich wie bei Malereien von Arnulf Rainer, übereinander geschichtet so, dass man bei einmaligem Hören nicht alles wahrnehmen kann, sich immer neue Ebenen auftun und die entstehenden Eindrücke nicht eindeutig greifbar sind.
Tobi: Es kam während der Aufnahmen immer wieder zu Veränderungen an den Arrangements da wir bewusst Brüche erzeugen wollten um mögliche Erwartungen die beim Hören des Lieds entstehen, bewusst nicht zu erfüllen. Es ist ein Konzept der Infragestellung gewohnter Klischees in der Musik. Immer dann, wenn wir das Gefühl hatten, jetzt müsste der Song so oder so weitergehen, haben wir konsequent dort Brüche vorgenommen. Wir wollen auch Antworten auf die zunehmenden Verglättungen und Formatierungsprozesse geben, die unserer Meinung nach stattfinden und dieses Konzept sollte sich auf der musikalischen sowie textlichen Ebene durchziehen.
Ist der Titel aus dem Ergebnis entstanden oder war er schon vorher definiert?
Tobi: Er war das Grundgerüst des Konzepts und auch der Texte. Im Gegensatz zum alten Album, das man gewisser maßen als eine Sammlung moderner Großstadt Chansons bezeichnen könnte, war der Zugang zu Zelluläre Automaten ein strengerer. Die Themen sollen auf einer atmosphärischen Ebene auf Entfremdungen in Bezug auf Wahrnehmungsprozesse und eine stattfindende Entemotionalisierung hinweisen, ohne aber einen belehrenden Charakter zu bekommen. Es ist eine Art Innenschau ,die sich an der Außenwelt reibt. Es beschreibt Selbstfindungsprozesse, ohne aber eine Anleitung zur Selbstfindung sein zu wollen.
Ich hatte beim Hören den Eindruck als würde man in einer geschützten Blase durch die Welt wandeln und sie aus verschieden Blickwinkeln betrachten, wie seht ihr das?
Tobi: Ich empfinde das ähnlich. Es sind subjektive Betrachtungen und deshalb werden diese, meiner Meinung nach, auch wieder für den Einzelnen zugänglich und nachvollziehbar, weil gewisse Entwicklungen in unserer Welt jeder auf seine Weise wahrnimmt und spürt.
Ist die gewisse Kühle die das Album versprüht ein Resultat daraus?
Tobi: Das hat vielleicht mit der Art der Sprache zu tun. Sie ist bewusst assoziativ gewählt und soll den musikalischen Schichten eine weitere hinzufügen. Durch diese weitere Überlagerung kann man sich beim Hören an nichts tatsächlich festhalten. Daraus resultiert vielleicht eine gewisse Distanziertheit.
Gernot: Man muss sich von den ersten Assoziationen zu den häufig verwendeten technischen Begriffen befreien und sie auf sich wirken lassen. Dann bemerkt man plötzlich, dass sich dahinter Geschichten über menschliche Beziehungen verbergen. So ist zum Beispiel der Song Formen in gewisser Weise ein Liebeslied, das bei uns nur anders zum Ausdruck kommt.
Warum sind zwischen dem Debütalbum Viel Lärm um nichts und Zelluläre Automaten sechs Jahre vergangen?
Gernot: Zum einen lag das am Ausstieg unseres damaligen Schlagzeugers, zum anderen haben wir auch unseren Aufnahme- und Proberaum verloren, sodass wir bis 2004 nicht wirklich gut an Songs arbeiten konnten. Nebenbei haben wir Bands produziert und uns anderen Projekten gewidmet. Auch haben wir immer sehr konkrete Vorstellungen von unseren Projekten und wollten das Album ohne Abstriche und Kompromisse umgesetzt wissen. Und nach zwei Jahren intensiver Arbeit daran, haben wir es dann geschafft ein Ergebnis vorzulegen, mit dem wir alle sehr zufrieden sind.
Wie erarbeitet ihr die Songs von Rosensprung?
Tobi: Normalerweise gibt es einen musikalischen Einfall von mir und eine gewisse Idee in welche Richtung der Song gehen könnte. Danach ist der Verlauf unterschiedlich. So war es beim ersten Album noch verstärkt so, dass diese Ideen dann im Proberaum mit der Band ausgearbeitet wurden. Bei Zelluräre Automaten hingegen war zum Teil schon die Vorproduktion sehr genau von mir ausgearbeitet.
Gernot: Bei den schon sehr ausgereiften Stücken die Tobi mir geschickt hat wurden von jedem nur noch einzelne Parts hinzugefügt. Manche Files waren aber auch nur Akustikgitarre und Stimme und an denen habe ich dann weitergearbeitet und wieder zurückgeschickt und so sind die Songs nach und nach entstanden.
Tobi: Wir werden aber sicher, mit dem nächsten Album wieder neue Wege gehen. Dieser Entwicklungsprozess, zieht sich durch unser ganzes Schaffen und ist der Grund dafür dass wir gewisse Erwartungshaltungen nicht erfüllen werden, und auch nicht erfüllen wollen.
Die Elektronik ist bei eurem zweiten Album viel stärker ausgeprägt, ein Zeichen der Zeit?
Tobi: Wir kommen aus keinem elektronischen Kontext und so verhält es sich auch bei diesen Parts, nicht so wie man sich für gewöhnlich, elektronische Musik vorstellt. Es sollten auch auf dieser Ebene nicht gewohnte Genreklischees bedient werden.
Gernot: Teilweise wurden am Schlagzeug extrem technisch und programmiert klingende Patterns live eingespielt, so wie sie ein Schlagzeuger wohl nie aus dem Bauch heraus spielen würde. Es soll elektronisch klingen aber eben bewusst nicht am Rechner produziert sein. So verhält es sich auch mit den anderen vermeintlich synthetischen Geräuschen auf dem Album. Die vom Knarren eines Fußbodens bis zum Fingerrutschen auf der Gitarrensaite reichen. Wir haben einfach Vieles aufgenommen und daraus sind teilweise sehr gute Grooves entstanden.
Und wie setzt ihr das auf der Bühne um?
Gernot: Wir versuchen natürlich die Stimmung des Albums wiederzugeben, doch auf einige Effekte müssen wir bei einem Auftritt verzichten, da diese zu viert nicht umsetzbar sind. Unser Gitarrist Roland bedient zwar auch einen Laptop aber wir wollen so wenig wie möglich vorgefertigte Parts in das Liveset einfließen lassen.
Die nächste Möglichkeit Rosensprung live zu erleben, gibt es am 14.11.2008 im Shelter in Wien. Weiter Termine und Infos zur Band, unter www.rosensprung.at
Interview: Alexander Csurmann
Foto: Christian Messner
Zitat: bnv