backbeat Science: Unser Gehör – Teil II

ohr2

Nachdem sich der erste Teil von „Backbeat Science: Unser Gehör“ um Aufbau und Funktionsweise des menschlichen Ohrs drehte, geht es diesmal um einige bestimmte Phänomene in der Hörwahrnehmung.

Tonhöhenwahrnehmung

periodizitätWenn man von Tonhöhenwahrnehmung spricht, ist zuallererst ein Begriff wichtig: Periodizität. Töne besitzen, im Gegensätz zu Geräuschen, ein periodisches Schwingungsmuster, das heißt das Muster der Schallschwingung wiederholt sich nach einem bestimmten Zeitraum. Dadurch ist die Periodizität Grundvoraussetzung, um einem Schallereignis überhaupt eine Frequenz und damit eine Tonhöhe zuordnen zu können. Man vergleiche einmal den Klang einer Snare Drum mit gelöstem und mit angezogenem Snareteppich: bei gelöstem Teppich kann der Trommel relativ genau eine Tonhöhe zugeordnet werden, da die beiden Felle bzw. die Luftsäule in der Trommel ein halbwegs periodisch schwingen. Sobald aber der Snareteppich angezogen ist kommen die unperiodischen Schwingungen der Drähte des Teppichs hinzu, Geräusch und Ton vermischen sich und es wird ungleich schwieriger der Snare Drum eine Tonhöhe zuordnen zu können. Daher empfiehlt es sich übrigens beim Stimmen die Snare „abzudrehen“.

spektogrammWelche Tonhöhe von unserem Ohr wahrgenommen wird hängt wiederum von der Grundfrequenz der Schwingung ab. Jeder (auf natürliche Weise erzeugter) Ton besteht nicht nur aus einer einzigen Schwingung, sondern aus der schon erwähnten Grundfrequenz – welche wir als Grundton wahrnehmen – und einer Vielzahl von Frequenzen, die in einem ganzzahligen Verhältnis zur Frequenz stehen und von uns als Obertöne oder Teiltöne bezeichnet und wahrgenommen werden. (Im Bild stellen die schwarzen Bereich am unteren Rand die Grundfrequenz dar, die Grauschattierungen darüber zeigen an, wie stark die Teiltöne vertreten sind.)

Kurz gesagt ist der Grundton für die Tonhöhe verantwortlich, die Teiltöne für die Klangfarbe. Derselbe Ton von einer Violine, einer Gitarre oder von einem Klavier gespielt besitzt also die gleiche Tonhöhe – vorausgesetzt natürlich, daß die Instrumente genau gleich gestimmt sind – klingt aber bei jedem Instrument anders, weil jeweils verschiedene Teiltöne unterschiedlich stark ausgeprägt sind.

SinusNach diesem Prinzip ist jeder auf natürliche Weise erzeugte Ton aufgebaut. Elektronisch kann jedoch – zumindest annäherungsweise – ein Ton erzeugt werden, der aus einer einzigen Schwingung besteht: der Sinuston. (Der Name leitet sich davon ab, daß seine Schwingungsform der mathematischen Sinusfunktionen ähnelt.)

Tonheit

Während die Tonhöhe ein absolutes Maß – bedingt durch die Frequenz eines Tones – darstellt, bezeichnet der Begriff Tonheit ein Verhältnis zwischen zwei Tönen, sprich: Wann ist ein Ton doppelt oder halb so hoch wie ein zweiter. Dies würde wiederum einem Intervall von einer Oktav entsprechen, was jedoch so genau nur Frequenzen unter 500 Hz entspricht. Über 500 Hz steigt die Tonheit an, das heißt, Intervalle werden größer eingeschätzt als sie tatsächlich sind, je höher die Frequenzen sind.

Diese Tatsache findet ihre Erklärung in der Physiologie des Ohres. Die schon im ersten Teil angesprochenen auf der Basilarmembran liegenden Haarzellen werden in bestimmten Frequenzgruppen angeregt. Das bedeutet, daß ein bestimmter Frequenzbereich mehrere Haarzellen gleichzeit anregt, also eine Zelle nicht nur von einer einzigen Frequenz angeregt wird. Die Breite dieser Frequenzgruppen steigt ist größer wo hohe Frequenzen wahrgenommen werden. Dadurch werden bestimmte Intervalle in höheren Frequenz größer als tatsächlich eingeschätzt.

Tonhöhe, Dauer und Schallpegel

Die Wahrnehmung der Tonhöhe hängt jedoch nicht ausschließlich von der jeweiligen Frequenz ab, sondern wird von unserem Gehör auch durch die Dauer und den Schallpegel eines Tones bestimmt.

So müssen Töne bis zu einer Frequenz von 1000Hz mindestens 2 Perioden durchlaufen, damit wir deren Frequenz überhaupt wahrnehmen können. Töne über 1000Hz müssen dafür mindestens 10 Millisekunden lang erklingen. Wenn Töne kürzer als nötig erklingen werden sie zwar wahrgenommen, aber nur als ein Knacksen mit unbestimmbarer Tonhöhe. Ein Fall der zwar in der normalen Musikausübung nicht vorkommt, aber durchaus etwa in der Nachbearbeitung von Aufnahmen, zum Beispiel beim Schneiden, beobachtet werden kann.

Darüber hinaus finden sich auch geringfügige Änderungen der Tonhöhe bedingt durch Erhöhung des Schallpegels: Bei stärkerem Pegel werden Frequenzen unter 500Hz etwas tiefer empfunden, Frequenzen über 5000Hz etwas höher. Bei sehr starken Schallpegeln kann dies einen Unterschied von bis zu einem Halbton ausmachen.

Kombinationstöne

Bereits Anfang des 18. Jahrhunderts beschrieb der italienische Geiger Giuseppe Tartini die sogenannten Kombinationstöne. Er entdeckte sie als er beim gleichzeitigen Spielen zweier Töne auf der Geige einen zusätzlichen dritten hören konnte. Heute führt man diese zusätzlich auftretenden Töne auf Nichtlinearitäten im Ohr oder am Instrument zurück – im Gegensatz zum homogenen Medium Luft. Man unterscheidet zwischen Differenztönen (Frequenz = Frequenz des höheren Tons minus Frequenz des niedrigeren Tons) und Summationstönen (Frequenz = Summe beider Frequenzen). In der „normalen“ Musikausübung besitzen Kombinationstöne praktisch keine Bedeutung, da sie – wenn überhaupt – nur schwach auftreten.

Residualtöne

Während die Kombinationstöne auf das real vorhandene physikalische Phänomen der Nichtlinearität zurückgehen, sind Residualtöne nicht physikalisch mess- und erklärbar, sondern ausschließlich hörbar. So kann von einem Ton der Grundton entfernt werden, sodaß nur noch desen Obertöne real vorhanden sind. Trotzdem wird der Grundton vom menschlichen Ohr „ergänzt“, obwohl er nicht existiert. Der Begriff „Residualton“ wurde vom Niederländer F.J. Schouten in den 1940er-Jahren geprägt. Seine Erklärung dieser Töne lautet wie folgt: Bei einem Ton mit fehlender Grundfrequenz bilden die Teiltöne trotzdem noch ein periodisches Muster, aus dem unser Gehör den fehlenden Grundton „errechnen“ und ergänzen kann.

Ein typisches Beispiel ist Glockengeläute. Die Grundfrequenzen von Glocken sind üblicherweise so schwach ausgeprägt, daß sie real eigentlich nicht hörbar sind, die Töne die wir hören bestehen also nur aus Obertönen. Trotzdem können wir einem Glockengeschlag in der Regel einen genau definierbaren Grundton zuordnen und diesen auch wahrnehmen.

Shepard-Skala

Als Shepard-Skala bezeichnet man Tonfolgen, die den Eindruck erwecken unaufhörlich zu steigen bzw. zu fallen und sich dabei dem Phänomen der Residualtöne bedienen. Diese Skalen setzen sich aus einer bestimmten Anzahl komplexer Töne innerhalb einer Oktav zusammen. (Bei sehr vielen Tönen entsteht schon mehr der Klangeindruck eines Glissandos als einer Skala.) Wenn sich die Skala dem Ende der Oktav nähert werden die hohen Frequenzen der Töne langsam ausgeblendet, während sie durch erneut einsetzende tiefe Freqeuenzen ersetzt werden. Dadurch entsteht der Höreindruck stetigen Ansteigens, da das Gehör den immer anwachsenden Grundton ergänzt.

Shepard Skala

Jean-Claude Risset hat dieses Prinzip auch auf die Rhythmik angewandt, um so einen Rhythmus zu erhalten, der den Eindruck erwegt immer schneller zu werden.

Risset

Artikel: Matthias Rigal